Kunst und Holocaust
Nichts kann das Grauen des Holocausts vorstellbar machen. Eine Vorstellung vom Holocaust hat nur, wer dabei war. Die Kunst aber erfasst den ganzen Menschen, Kopf und Herz, Verstand und Seele. In Klang und Poesie, in Bild und Ton kann sie deshalb das Grauen ahnbar machen. Jerzy und Judith sind Musiker, Künstler. Ohne die Kunst ist diese Geschichte nicht denkbar.
Auszug aus „Spiel mir das Lied vom Leben“, illustriert mit Bildern, die die 12jährige Helga Weissova in Theresienstadt gemalt hat
Helga Weissova, im Dezember 2011 in Prag mit dem Buch „Spiel mir das Lied vom Leben“, in dem ihre Bilder abgedruckt sind
Jerzy Gross in den 60er Jahren am Schlagzeug
Countrymusik, eine Aufnahme aus den 60er Jahren, an der Geige: Jerzy Gross
Klezmermusik, eine Aufnahme aus den 60gr Jahren, am Schlagzeug: Jerzy Gross
„So soll es klingen, wenn ich geige”, sagt Judith, als sie mit sechs Jahren das erste Mal Itzhak Perlmans Geigenspiel hörte. Fortan hat sie alles gesucht, was er gespielt hat und fand bei youtube, wie Itzhak Perlman, dessen Familie in der Shoa gelitten hat, die Filmmusik von John Williams zu Spielbergs Film „Schindlers Liste“ aufführte.
„Ich kann nicht anders“, sagt Jerzy, als sein wohlmeinender Blockaufseher ihn wegziehen wollte. „Wenn sie dich erwischen, bringen sie dich um“, versucht er den jungen Geiger Jerzy zu bewegen. Für KZ-Insassen war es verboten, der Musik zu lauschen, die SS-Offiziere sich von jüdischen Musikern aufspielen ließen. Und Jerzy, der ansonsten seine ganze Kraft darauf verwendet, zu überleben, antwortet: „Das ist es wert.“
Während der Reise nach Polen, auf der der 80-jährige Jerzy der 12-jährigen Judith vor Ort von seinem Überleben im Holocaust durch Schindlers rettende Liste erzählt, ermöglichen es die Klänge, dass sich diese beiden ungleichen Musiker aus weit entfernten Generationen auf Augenhöhe begegnen.
Die Musik, der Klang, die Kunst, ist die Brücke, die Jerzy und Judith jeder von seiner Seite aus betreten. Im Klang begegnen sie sich in der Mitte. Und jeder, der Jerzy und Judith über die Brücke der Kunst in diese Geschichte folgt, folgt ihnen ins absolut Böse, ins Finsterte, zu dem Menschen fähig sind. So finster, dass alle instinktiv davor zurück schrecken.
Aber weil es die Kunst ist, die vom Grauen erzählt, können wir Jerzy und Judith zugleich in das Beste folgen, welches Menschen sich schenken können: tiefe Zuneigung.
„Holocaust kann man nicht mit Worten beschreiben.
Nur die Kunst kann die Gefühle ausdrücken.“
Das Buch „Spiel mir das Lied vom Leben“ ist illustriert mit Bildern der Künstlerin Helga Weissova. Sie ist sechs Tage älter als Jerzy Gross und als 12-jährige nach Theresienstadt deportiert worden. Nach der Lektüre von „Spiel mir das Lied vom Leben“ schreibt sie der Autorin Angela Krumpen in einer E-Mail:
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Von: Helga Hošková
An: angelakrumpen
Verschickt: Sa, 10 Dez 2011 9:45 pm
Betreff: das lied vom leben
Geehrte Frau Krumpen,
gestern habe ich Ihr Buch zu Ende gelesen. Eine Woche lang habe ich zusammen mit Michael Emge und Judith gelebt. In Erinnerungen war ich wieder um 70 Jahre zurück. Auch ich war damals 12–15 Jahre alt.
Es wurde bereits viel über Holocaust geschrieben und gefilmt. Es wurde viel fantasiert, um Effekt und Erfolg zu erreichen – und auch um Geld zu verdienen. Man soll nichts ausdenke,n es reicht das, was passiert ist. Holocaust kann man nicht mit Worten beschreiben. Nur die Kunst kann die Gefühle ausdrücken (…). Ich habe Ihr Buch langsam, aufmerksam und atemlos gelesen. Es hatte auf mich einen starken Eindruck gemacht. Es ist ohne unnötigen Pathos, ganz aufrichtig geschrieben. Ich danke Ihnen, dass Sie mir es geschenkt haben, danke dass Sie es geschrieben haben.
Ich wünsche Ihnen ein gutes und erfolgreiches neues Jahr.
Mit herzlichen Grüßen Helga Hoskova
„Das Feedback, das ich von den SchülerInnen in der Abschlussreflexion, aber auch im Verlauf der Reihe immer wieder bekommen habe, hat mich sehr gefreut. Mehrfach wurde gesagt, dass ‚Spiel mir das Lied vom Leben‘ einen Zugang zu einer Thematik biete, von der man nach mehrfacher Behandlung in der Schule und einer Omnipräsenz in den Medien glaubte, ‚die Nase voll‘ zu haben. Die SchülerInnen zeigten sich sehr ergriffen von Herrn Gross‘ Schicksal, das ihnen half, den Holocaust aus einer anderen als der sonst von ihnen abverlangten ‚kognitiven‘ Perspektive zu betrachten.”Sebastian Bloschies, Referendar